Die CVP-Volksinitiative „Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe“ wäre in der eidgenössische Volksabstimmung vom 28. Februar 2016 zwar mit 15 3/2 gegen 5 3/2 Standesstimmen angenommen worden, wurde aber vom Volk mit 1‘609‘152 Ja- gegen 1‘664‘224 Nein-Stimmen mit einer äusserst knappen Mehrheit von 50.84% abgelehnt.
Im Abstimmungsbüchlein – wie bereits in der Botschaft - hatte der Bundesrat im ersten Satz behauptet, dass bei der direkten Bundessteuer „nur“ rund 80‘000 Zweiverdienerehepaare von der Heiratsstrafe betroffen seien. Diese Zahl „80‘000“ wurde zudem nicht nur von der zuständigen Bundesrätin in der Parlamentsdebatte und der Medienkonferenz sowie in weiteren offiziellen Unterlagen des Bundesrates oder des eidgenössischen Finanzdepartements EFD verwendet, sondern auch in den Medien gebetsmühlenartig wiedergegeben und im Abstimmungskampf von den Gegnern der Volksinitiative ausgeschlachtet.
Am 15. Juni 2018 musste nun der Bundesrat mit einer Medienmitteilung eingestehen, dass es sich dabei um eine gravierende Fehlinformation gehandelt hatte: Entgegen der bisherigen Bezifferung sind nicht 80‘000, sondern 454‘000 Zweiverdienerehepaare – und insgesamt rund 704‘000 Ehepaare – von der Heiratsstrafe betroffen. Gemäss der korrigierten Schätzung des eidgenössischen Finanzdepartements sind somit 1‘408‘000 statt „nur“ 660‘000 verheiratete Stimmberechtigte steuerlich schlechter gestellt als unverheiratete Paare. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass bei einer korrekten Information durch den Bundesrat die Volksinitiative „Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe“ deutlich angenommen worden wäre.
Aufgrund der Fehlinformation, welche vor der Abstimmung vom Bundesrat, den Medien und den Initiativgegnern verbreitet wurde, war die Informationslage der Stimmberechtigten im Vorfeld der Abstimmung ungenügend und ihre Meinungsbildung und –äusserung erfolgte fehlerhaft. Die verfassungsmässige Abstimmungsfreiheit, welche garantiert, dass jeder Stimmberechtigte seinen Entscheid gestützt auf einen möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen und entsprechend mit seiner Stimme zum Ausdruck bringen kann, ist anlässlich der Volksabstimmung vom 28. Februar 2016 verletzt worden.
Aus diesen Gründen habe ich im Kanton Solothurn und sieben weitere Stimmberechtigte in den Kantonen Aargau, Bern, Basel-Landschaft, Waadt, Wallis, Zug und Zürich am 18. Juni 2018 bei den Kantonsregierungen innert 3 Tagen Abstimmungsbeschwerde eingereicht. Obwohl uns bewusst war, dass die Kantonsregierungen nicht berechtigt sind die Wiederholung einer eidgenössischen Abstimmung anzuordnen, waren wir nach Gesetz und bundesgerichtlicher Rechtsprechung gezwungen, diesen Rechtsweg einzuschlagen. Nachdem uns die erwarteten Nichteintretensentscheide zügig eröffnet worden waren, haben alle acht Stimmberechtigten innert 5 Tagen beim Bundesgericht Beschwerde erhoben.
Es liegt nun am Bundesgericht, darüber zu entscheiden, ob die Abstimmung über die Volksinitiative „Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe“ wiederholt werden muss. Obwohl die Wiederholung einer eidgenössischen Volksabstimmung in der Geschichte unseres Landes eine Premiere wäre und obwohl ich als Anwalt weiss, dass man auf hoher See und vor Gericht in Gottes Hand ist, bin ich der Überzeugung, dass die CVP mit der Beschwerde gute Chancen hat und das Schweizer Volk dann die Möglichkeit bekommt, in Kenntnis der richtigen Zahlen nochmals abstimmen zu dürfen.
Pirmin Bischof, Ständerat, Solothurn