Noch nie hatte das Bundesgericht eine eidgenössische Volksabstimmung aufgehoben. Am 10. April hat es dies mit 4:1 Stimmen getan. Es hat eine Beschwerde von mir und 7 weiteren CVP-Angehörigen gutgeheissen und die Wiederholung der Volksabstimmung von 2016 über die CVP-Volksinitiative zur Aufhebung der Heiratsstrafe angeordnet. Der Bundesrat musste nun eine Zusatzbotschaft - jetzt mit richtigen Zahlen – publizieren. Die Heiratsstrafe wird nun in der Wirtschafts-und
Abgabekommission des Ständerates (WAK), die ich präsidiere, behandelt. Der Weg zur Abschaffung dieser unseligen Diskriminierung der Verheirateten ist nun endlich frei. Allerdings haben die Gegner immer noch nicht aufgegeben. Jetzt braucht es Durchhaltevermögen und Witz für die letzte Runde!
Wie kam es so weit?
Bereits 1984 hatte das Bundesgericht festgehalten, dass die heutige Form der Besteuerung von Verheirateten verfassungswidrig ist. Es ist ja tatsächlich unglaublich: Ein Ehepaar zahlt heute wesentlich mehr Steuern als die gleichen zwei Personen, die am gleichen Ort zur gleichen Zeit mit dem gleichen Einkommen zusammenleben, aber nicht verheiratet sind. Sämtliche Kantone haben nach diesem Entscheid ihre Steuergesetze revidiert und besteuern heute die Verheirateten korrekt, nämlich mit einer gemeinschaftlichen Familienbesteuerung. Damit wurde auf einfache Weise die Diskriminierung behoben. Nicht aber im Bund! Trotz mehrerer Anläufe ist die Abschaffung der Heiratsstrafe gescheitert. Namhafte Interessen wollen die heutige Bevorteilung
der Konkubinate beibehalten oder mit einer «Individualbesteuerung» erreichen, dass klassische Familien, wo ein Elternteil das Haupteinkommen erzielt, steuerlich diskriminiert bleiben und nur die Doppelverdienerehepaare entlastet werden. Beides ist für die CVP ein «no go»!
Deshalb lancierte die CVP die Volksinitiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe». Sie wurde in der eidgenössischen Volksabstimmung vom 28. Februar 2016 mit einer äusserst knappen Mehrheit von 50,84% abgelehnt. Im Abstimmungsbüchlein hatte der Bundesrat behauptet, dass bei der direkten Bundessteuer «nur» rund 80 000 Zweiverdienerehepaare von der Heiratsstrafe betroffen seien. Die Zahl wurde vom Bundesrat und den Gegnern ständig wiederholt. Am 15. Juni 2018 musste
der Bundesrat dann eingestehen, dass es sich dabei um eine gravierende Fehlinformation gehandelt hatte: Nicht 80 000, sondern 454 000 Zweiverdienerehepaare – und insgesamt rund 704 000 Ehepaare – sind diskriminiert. Gemäss der korrigierten Schätzung des eidgenössischen Finanzdepartements sind somit 1 408 000 statt «nur 660 000» verheiratete Stimmberechtigte steuerlich schlechter gestellt als unverheiratete Paare. Das Bundesgericht hielt es für möglich oder sogar wahrscheinlich, dass
bei einer korrekten Information durch den Bundesrat die Volksinitiative «Für Ehe und Familie –gegen die Heiratsstrafe» angenommen worden wäre. Nun hat das Parlament eine letzte Chance, die Heiratsstrafe selber zu beseitigen. Sonst bekommt das Schweizer Volk die Möglichkeit, in Kenntnis der richtigen Zahlen nochmals abzustimmen. Packen wir's an!
Pirmin Bischof, Ständerat CVP, Solothurn
Artikel im CVPpersönlich Nr. 3/2019 "Historischer Sieg vor Bundesgericht: Jetzt wird die Heiratsstrafe endlich abgeschafft"
Nid noloh gwünnt! Der 10. April 2019 wird als historisch in die Schweizer Rechtsgeschichte eingehen.